Die Nordfriesen leben an der Westküste Schleswig-Holsteins – im Gebiet der deutsch-dänischen Grenzregion im Norden bis zur weiter südlich liegenden Stadt Bredstedt (Kreis Nordfriesland). Auch die Inseln Sylt, Föhr, Amrum und Helgoland (Kreis Pinneberg) und weitere Halligen gehören zum Gebiet, in dem nordfriesisch gesprochen wird.
Geschichte
Das historische Siedlungsgebiet des germanischen Volkes der Friesen liegt an der südlichen Nordseeküste zwischen Niederrhein und Weser. Erstmals erwähnt wurden die Friesen im Jahre 12. v. Chr., als der römische Feldherr Drusus Klientelverträge mit ihnen abschloss.
Im 8. und 11. Jahrhundert wanderten in zwei Wellen friesische Gruppen nach Nordfriesland ein. Die Friesen lebten in Harden, Verwaltungseinheiten, wie sie im gesamten dänischen Königreich bestanden. Die Grenzen der Harden im nordfriesischen Bereich bildeten zumeist weite sumpfige Urstromtäler.
Die Nordfriesen hatten nie einen eigenen Staat, konnten sich aber lange ein politisches Eigenleben bewahren, etwa im Bereich der Rechtsprechung und der Deichverwaltung.
Die Landschaft Nordfrieslands ist vor allem durch Sturmfluten geprägt, von denen die sogenannten „Mandränken“ in den Jahren 1362 und 1634 die folgenschwersten waren. Im 17. und 18. Jahrhundert erlebte Nordfriesland eine wirtschaftliche Blütezeit, als fast die gesamte männliche Inselbevölkerung an Grönlandfahrten teilnahm und es mit Walfang und Robbenschlag zu teilweise beachtlichem Wohlstand brachte. Den wichtigsten Wirtschaftsfaktor in den folgenden Jahrhunderten bildeten vor allem die Landwirtschaft und später der Fremdenvekehr.
Die Geschichte Nordfrieslands ist geprägt von einer regionalen Identifikation, die auch heute noch stark zum Ausdruck kommt. Der Kreis Nordfriesland als Verwaltungseinheit besteht erst seit 1970. Bis 1864 gehörte Nordfriesland zum dänischen Gesamtstaat, danach zu Preußen bzw. Deutschland. Die Lage im Spannungsfeld zwischen Deutsch und Dänisch überschattete die nationalpolitische Entwicklung Nordfrieslands seit dem 19. Jahrhundert und erschwerte die Herausbildung eigenständiger friesischer Strukturen.
Sprache
Die friesische Sprache ist das wichtigste Identifikationsmerkmal der Nordfriesen. Sie wurde in die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen aufgenommen.
Nordfriesisch (Friisk, Frasch) gehört zusammen mit den beiden weiteren friesischen Sprachen Saterfriesisch (Ostfriesisch) und Westfriesisch zur friesischen Sprachgruppe innerhalb der westgermanischen Sprachen. Diese wiederum sind ein Zweig der germanischen Gruppe der indoeuropäischen Sprachfamilie. Das Saterfriesische (Ostfriesisch) wird im Nordwesten Niedersachsens gesprochen und Westfriesisch im Norden der Niederlande.
Es gibt heute 9 Dialekte und etwa aktive 8.000-10.000 Sprecher. Man teilt die Dialekte in zwei Gruppen ein: Inselnordfriesisch und Festlandnordfriesisch; der auf den Halligen gesprochene Dialekt gehört zum Festlandnordfriesischen:
Inselnordfriesisch
Festlandnordfriesisch
Vom Hochdeutschen unterscheiden sich die nordfriesischen Dialekte insgesamt durch ein umfangreicheres Vokal- und Konsonantensystem. In allen Dialekten weisen die Konsonanten eine zusätzliche Palatalreihe (Artikulationsort des Lautes am Gaumen) auf, die für eine germanische Sprache ungewöhnlich ist.
Status der Sprache:
Nordfriesisch ist traditionell eine gesprochene Sprache, das heißt wenig wurde niedergeschrieben vor Beginn des 19. Jahrhunderts. Angesichts der Gefahr des Aussterbens der Sprache hat sich eine Tradition zum Erhalt des Nordfriesischen entwickelt. Heute hat jeder Dialekt seine eigene Orthographie, Grammatik und Vokabular, das man als relativ standardisiert bezeichnen kann. Friesisch wird hauptsächlich in informellen, gesellschaftlichen Kontexten angewendet, z.B. Familie, Gemeindeaktivitäten, etc., aber auch in manchen formellen Bereichen wie im Unterricht und in der Kirche. Offiziell wird mit einer Sprechzahl von ca. 8.000-10.000 Sprecher der nordfriesischen Sprache gearbeitet. Viele Sprachwissenschaftler gehen aber von einer weitaus geringen Zahl aus. Genaue Erhebungen sind nicht vorhanden. Im „Roten Buch der bedrohten Sprachen“ der UNESCO wird Nordfriesisch als „ernsthaft gefährdet“ eingestuft.
„Hochburgen“ des Nordfriesischen sind die Gemeinden Risum-Lindholm auf dem Festland, insbesondere aber der Westen der Insel Föhr.
Rechtslage
Seit dem Jahr 1998 umfasst das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten auch die Friesen. In der Landesverfassung wird der friesischen Volksgruppe seit 1990 Schutz und Förderung zugesichert.
Der Schleswig-Holsteinische Landtag beschloss 2004 ein Gesetz zur Förderung des Friesischen im öffentlichen Raum (friesisch: Friisk Gesäts; Gesäts fort stipen foont friisk önj e öfentlikhäid). Hierdurch wurden Grundlagen für die zweisprachige Beschilderung in Nordfriesland und auf Helgoland gelegt, die deutlich sichtbar sind. So haben eine Anzahl von Kommunen zweisprachige Ortsschilder und auf nordfriesischen Bahnhöfen sind die Stationsschilder ebenfalls zweisprachig. Auch Landesbehörden, wie z.B. die Finanzämter oder Polizeistationen in Nordfriesland und auf Helgoland sind zweisprachig beschildert. Mit dem Gesetz wurde Friesisch zweite offizielle Sprache in Nordfriesland und auf Helgoland.
Organisationen
Als Dachorganisation der Friesen vereinigt der Interfriesische Rat die Nordfriesen und Ostfriesen in Deutschland mit den in den Niederlanden lebenden Westfriesen.
Die zwei größten nordfriesischen Vereinigungen sind der Nordfriesische Verein e.V. und der Friisk Foriining. Sie sind Dachorganisationen zahlreicher kleinerer Ortsvereine und Gruppen. Alle nordfriesischen Organisationen arbeiten im Friesenrat Sektion Nord e.V. zusammen. Er ist der zentrale Ansprechpartner von Bund, Land, Kreis Nordfriesland und dessen Kommunen. Die örtlichen friesischen Vereine leisten mit großem Engagement eine vielfältige kulturelle Arbeit. Neben der Sprachenpflege nehmen sie sich friesischer Sitte und Gebräuche sowie überkommender und Hausformen an, die wie das Bewusstsein einer friesischen Geschichte ebenfalls zur friesischen Identität gerechnet werden kann.
Von großer Bedeutung für die Pflege der friesischen Sprache, der Kultur und der Geschichte ist das „Nordfriisk Instituut“ in Bredstedt als zentrale wissenschaftliche Einrichtung. Es versteht sich als Brücke zwischen Theorie und Praxis, zwischen Wissenschaft und Laienforschung. Das Institut ist vor allem auf dem Gebiet der Sprache, Geschichte und Landeskunde wissenschaftlich und publizistisch tätig. Das Institut unterhält eine Fachbibliothek und ein Archiv, gibt Zeitschriften und Bücher in deutscher und friesischer Sprache heraus, bietet Kurse, Vortragsveranstaltungen, Tagungen und Arbeitsgruppen an. Die Arbeit wird überwiegend aus Zuschüssen des Landes Schleswig-Holstein finanziert sowie von etwa 850 Mitgliedern des Vereins Nordfriesisches Institut getragen.
Bildungssystem
Wie für die meisten sprachlichen Minderheiten nimmt auch für die nordfriesische Volksgruppe die Berücksichtigung der eigenen Sprache in den Schulen und Kindergärten besondere Bedeutung ein. Über ein eigenes Schulwesen verfügen die Nordfriesen nicht. Stattdessen wird an staatlichen Schulen sowie an einzelnen Schulen der dänischen Minderheit auch Friesisch unterrichtet. Eine Ausnahme ist die dänische Privatschule in Risum – als einzige bilinguale Schule, in der die Sprachen Dänisch, Deutsch und Friesisch auch außerhalb der jeweiligen Sprachenlehre unterrichtet werden. Die Schule ist eine Grund-/Gesamtschule bis zur 8. oder 9. Schulklasse, die zu den 46 Schulen der dänischen Minderheit zählt.
In der Regel wird Friesisch nur im dritten und vierten Schuljahr für zwei Wochenstunden unterrichtet, dies auf freiwilliger Grundlage.
An den Universitäten Kiel und Flensburg kann Friesisch studiert werden. In Kiel besteht seit 1950 die Nordfriesische Wörterbuchstelle, geleitet vom Inhaber der 1978 eingerichteten Professur für Friesisch. Das Friesische Seminar an der Universität Flensburg dient vor allem der Ausbildung von Friesischlehrkräften; Lehre und Forschung werden in enger Zusammenarbeit mit dem Nordfriisk Institut und der Ferring-Stiftung betrieben.
Allgemeine Friesisch Sprachkurse werden für Anfänger und Fortgeschrittene größtenteils von Friesischen Vereinigungen, Volkshochschulen, Kulturringen und auch privat angeboten. „Friisk Foriing“ bietet jedes Jahr im Herbst die „Friisk Harfsthuuchschölj“ an, Kurse und Aktivitäten durchgeführt in friesischer Sprache für Jung und Alt. Darüber hinaus unternimmt „Friisk Foriing“ Kultur- und Sprachreisen zu anderen Minderheiten an, zum Beispiel einen Besuch bei den Sorben um und bei Bautzen oder bei den Walisern in Cornwall.
Laut Steensen (2010) bleibt die nordfriesische Sprache trotz aller Bemühungen in ihrer Existenz bedroht. Einzelne Dialekte werde bald ganz verklungen sein und Friesisch wird nie wieder die allgemeine Umgangssprache eines Dorfes sein, denn die sozialen Strukturen haben sich vollständig verändert. Heutzutage wird Friesisch in neuen Situationen verwendet, gerade junge Menschen entdecken dessen Möglichkeiten. Als traditionelle Sprache, die es nur in dieser Region und sonst nirgendwo auf der Welt existiert, kann sie weiterhin die Identität der Menschen mitprägen und eine regionales Zugehörigkeitsverhältnis schaffen. (Vgl. Steensen (2010) „Nordfriesland und die Friesen“, S.30)
Weitere Informationen / Links
Die friesische Volksgruppe in Schleswig-Holstein (Landtag)
EUROMOSAIC, North Frisian in Germany
Nationale Minderheiten / Minderheiten- und Regionalsprachen in Deutschland, November 2012
Die Friesen im Minderheitenrat Deutschlands
Der friesische Jugendverein Rökefloose
Informationen zu den Kursangeboten von Friesischen Vereinen, Volkshochschulen und Kulturringen:
www.ortskulturring-risum-lindholm.de/index.php?section=kalender
www.friiske.de/my.php?top=1&language=de