„In welcher Sprache denkst du eigentlich?“, dumme Frage, dachte ich zuerst lächelnd. Doch nach einer Antwort suchend, bemerkte ich: in mehreren. Das war mir gar nicht bewusst. In privaten Angelegenheiten meistens sorbisch, in fachlichen manchmal deutsch und situationsabhängig teilweise auch niederländisch, polnisch oder englisch.
Ich bin meinen Eltern sehr dankbar, dass sie mich sorbisch erzogen haben und mir damit das Tor zu den slawischen Sprachen geöffnet haben. Wie viel Verwunderung bei den deutschen Freunden, als ich mich im slawischen Ausland mit den Menschen verständigen, und ihre vermeintlichen Zischlaute Worten und Bedeutungen zuordnen konnte. Wie viele erfreute Einheimische durfte ich kennenlernen, die mit mir – einer vermeintlichen Deutschen – umso freundlicher umgingen.
Da ich zweisprachig, sorbisch und deutsch, aufgewachsen bin, und im Urlaub als Kind manchmal eine dritte Sprache angewendet habe, erschlossen sich mir Fremdsprachen umso schneller. Wie viel ärmer wäre mein Leben – das private und sogar das berufliche –, wenn ich nicht mit den slawischen und germanischen Sprachen jonglieren könnte.
Ob der polnische Zollbeamte, der mir als einer Journalistin aus Deutschland, Informationen verrät, weil ich so „ładnie“ (schön) polnisch sprach; ob der Gastwirt in Prag, der seinen „lužickim přateli“ (sorbischen Freunden) eine Runde ausgab; ob verwunderte Bauern in Belgien, die aufgrund meiner Niederländisch-Kenntnisse fast den Preis für ihre Kühe vergaßen.
Ja – Globalisierung und Mehrsprachigkeit gehören zusammen. Mit der Einsprachigkeit besteht die Gefahr von Einseitigkeit und somit die Gefahr von Ausgrenzung. Wenn man eine zweite – oder eine dritte, vierte – Sprache nicht beherrscht oder zumindest versteht, können sich weder die Gedanken der Menschen, noch ein Teil ihres Lebens und Umfeldes erschließen.
Bei aller Globalisierung gewinnt das Besondere, die eigene Identität, mehr und mehr an Bedeutung. Die Minderheitensprachen bergen ein reiches Kulturgut, die Quelle der Herkunft, und damit eine unentbehrliche Heimat und manchmal auch ein Versteck. Mit meiner Muttersprache besitze ich einen unheimlichen Reichtum und diesen muss ich für meine Nachkommen bewahren, vermehren, und diesem Falle: entwickeln. Mit meiner Arbeit als Journalistin und Leiterin des Sorbischen Rundfunks versuche ich diesen Anspruch auch beruflich zu erfüllen.
Die schönste Kritik nach der Premiere des sorbischen Fernsehmagazins WUHLADKO lautete: „Ich hätte nicht gedacht, dass man so über das alles auch auf Sorbisch berichten kann. Und nicht nur über Trachten und Bräuche.“ Im Laufe eines Jahrzehntes hat unsere sorbische Redaktion bewiesen: Wir können uns mit allem in unserer Muttersprache auseinandersetzen. Nicht nur unsere Traditionen sind reich, sondern das Sorbische überhaupt und damit eine Welt, die wir uns mit der Sprache erschließen. Und so sind für mich sorbische Feste und die Festtagstracht genauso wichtig wie die Erschließung neuer Medien in der sorbischen Sprache.
Ich achte diejenigen, welche ihre Fähigkeiten dafür einsetzen, dass eine Minderheitensprache auch im Social Media Bereich auftaucht, dass sie die entsprechenden technischen Voraussetzungen erschaffen. Sie bekommen noch zu wenig Aufmerksamkeit und Hilfe. Hier sehe ich für mich ein weiteres Tätigkeitsfeld.
Ohne Mehrsprachigkeit kann sich der Mensch heutzutage nicht frei bewegen, er kann nicht von der kulturellen Verschiedenheit Europas probieren. Und die Minderheitensprachen sind die Sahne auf dem Sprachenkuchen. Also lasst uns eine entsprechende Portion nehmen: je größer, desto besser.
Und habt keine Angst vor der Mehrsprachigkeit, sondern eher vor der Einsprachigkeit. Aber die ist ja bekanntlich heilbar.
Text auf Obersorbisch/hornjoserbsce: Serbska žurnalistka Bogna Korjeńkowa wo wjacerěčnosći