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Die Sorben/Wenden in der Lausitz

Die Sorben (obersorbisch Serbja, niedersorbisch Serby, deutsch auch Wenden) sind das kleinste westslawische Volk. Es ist in Deutschland als nationale autochthone Minderheit anerkannt. Ihr Siedlungsgebiet – die Lausitz – erstreckt sich von der Oberlausitz in Sachsen über die Mittel- bis in die Niederlausitz in Brandenburg. Aus diesem Grund werden sie in der Regel als die Lausitzer Sorben/Łužiscy Serbja bezeichnet. Heute leben in der Lausitz etwa 60.000 Sorben. Es wird zwischen zwei Sprachen unterschieden: dem Obersorbischen und dem Niedersorbischen, die bis heute in vielen Familien und im Alltag gesprochen werden.

Geschichte

Die Sorben können auf eine 1500-jährige wechselvolle Geschichte zurückblicken. Im Zuge der Völkerwandung im 5. Jahrhundert kamen slawische Stämme nach Mitteleuropa. Das altsorbische SiedlungsgebietSie ließen sich auf dem Gebiet des heutigen Ostdeutschlands nieder. Die Grenzen des früheren westslawischen Gebietes (Limes Sorabicus) entsprechen in etwa den Grenzen der ehemaligen DDR. Das Siedlungsgebiet der Sorben reichte bis Berlin im Norden und bis zur Saale im Westen. Nach dem Verlust der politischen Selbstständigkeit im 10. Jahrhundert schrumpfte es zunehmend infolge natürlicher Assimilation, einer intensiv betriebenen Germanisierungspolitik und durch fortschreitende Industrialisierung (Braunkohleabbau). Weitere Gründe für den Rückgang sorbisch sprechender Bevölkerung in den vergangenen beiden Jahrhunderten sind der Verbot der Sprache –  insbesondere von 1933 bis Ende des Zweiten Weltkrieges sowie die Abwanderung vorwiegend junger Sorben aus der Lausitz.

Rechtslage

Die rechtliche Anerkennung der Sorben als nationale Minderheit ist im Grundgesetz und im Einigungsvertrag Deutschlands festgeschrieben. In Deutschland gilt Bekenntnisfreiheit. Die Sorben haben das Recht auf Bewahrung und Fortentwicklung der sorbischen Kultur und der sorbischen Traditionen. Sie und ihre Organisationen haben die Freiheit zur Pflege und zur Bewahrung der sorbischen Sprache im öffentlichen Leben.

Das offiziell anerkannte sorbische Siedlungsgebiet ist in Landesgesetzen bzw. -verordnungen der Länder Sachsen und Brandenburg definiert. Für den Freistaat ist das Gebiet durch das Gesetz über die Rechte der Sorben im Freistaat Sachsen (kurz Sächsisches Sorbengesetz) aus dem Jahr 1999 dauerhaft festgelegt, in Brandenburg ist es seit 1994 das Gesetz zur Ausgestaltung der Rechte der Sorben (Wenden). Auf Landesebene sind demzufolge der Schutz und die Förderung der Sorben als Staatsziel in gesonderten Verfassungsartikeln verankert. Zweisprachiges Ortsschild

Innerhalb des sorbischen Siedlungsgebietes ist Sorbisch neben Deutsch Amtssprache. So gibt es nicht nur sorbische Kindertagesstätten und Schulen, sondern z.B. auch zweisprachige Orts- und Straßenschilder, Medien und eine Vielzahl von Kultureinrichtungen. Ein reges Vereinsleben, Laientheater- und Folklore-, Gesangs- und Tanzgruppen, aber auch sorbischsprachige Rundfunkprogramme und monatliche Fernsehsendungen sorgen dafür, dass die Kultur und Sprache erhalten und an die nächste Generation weitergegeben werden.

Die sorbische Sprache

Die beiden sorbischen Sprachen sind indoeuropäische Sprachen aus der Familie der westslawischen Sprachen. Es wird zwischen zwei Schriftsprachen unterschieden: Obersorbisch in der Oberlausitz und Niedersorbisch in der Niederlausitz. Beide haben sich einige Besonderheiten des Altslawischen bewahrt. Während das Obersorbische dem Tschechischen und Slowakischen näher steht und sich auf Grundlage des um Bautzen gesprochenen Dialektes entwickelt hat, ist das Niedersorbische dem Polnischen ähnlicher und findet seine Wurzeln im Cottbuser Dialekt. Beide Sprachen umfassen wiederum mehrere Dialekte.

In den Grenzgebieten zwischen der Ober- und Niederlausitz sind Übergangsdialekte entstanden.

Entwicklung des Sprachgebietes der Sorben seit dem Jahr 1000:

Entwicklung des Sprachgebietes im Jahr (1000-1800)

Entwicklung des Sprachgebietes (1960-2005)

 

 

 

 

 

Die ersten schriftlichen Dokumente in sorbischer Sprache entstanden im Zusammenhang mit der Reformation und der Übersetzung der Bibel.

Ethnologen schätzen die Sprecherzahl des Niedersorbischen auf 7.000 und des Obersorbischen auf 18.000; Tendenz jedoch fallend. Der Kern des obersorbischen Gebiets, in dem das Sorbische Alltagssprache ist, liegt in dem Städtedreieck Bautzen, Hoyerswerda und Kamenz. In der Niederlausitz kann von einem stabilen Kerngebiet in dieser Form nicht mehr gesprochen werden. Die meisten Niedersorbisch-Muttersprachler findet man in den Gemeinden zwischen dem Spreewald und Cottbus.

Trotz enger traditioneller Verbindung der sorbischen Sprache mit Familie, Kirche und Schule ist ein Rückgang im alltäglichen Leben festzustellen. Neben wirtschaftlichen Gründen (Arbeitslosigkeit, bessere Mobilitätsangebote, Umsiedlungen von Braunkohlgebieten) bildet auch der Spracherwerb innerhalb der Familie eine große Rolle.

Ein Grund dafür ist sicherlich auch das Image der Sprache – bis heute werden von vielen die Vorteile nicht erkannt, die für zweisprachig aufwachsende Kinder entstehen. Hier setzt die europäische Sprachkampagne language diversity an, zu dessen Fokusregionen die Lausitz gehört.

Bildungssystem

Die unterschiedliche Situation in der Ober- und Niederlausitz geht einher mit einer unterschiedlichen Herangehensweise der Sprachförderung. Sorbisch wird als Muttersprache vermittelt, mit Hilfe des WITAJ-Projektes oder als Zweit- und Fremdsprache. Daneben spielen die unterschiedlichen Bildungssysteme Sachsens und Brandenburgs eine wichtige Rolle. Unterschiedliche Träger betreiben Kindertagesstätten, Grundschulen, die Sekundarstufe oder bieten Erwachsenenbildung an.

 

KINDERTAGESSTÄTTEN

In insgesamt 38 Kindertagesstätten der Ober- und Niederlausitz werden Kinder in sorbischer Sprache betreut (Stand Dezember 2012). Diese befinden sich in 21 verschiedenen Trägerschaften; es engagieren sich kommunale Träger ebenso wie Träger der Freien Jugendhilfe. Dabei gibt es unterschiedliche Methoden und Formen sorbischsprachiger Erziehung:

  • Immersion (vollständig, partielle)
  • Bilinguale Sprachvermittlung
  • Sorbisch zum Kennenlernen (Angebotsmodell)

Methoden und Formen sorbischsprachiger Erziehung

Die Vermittlung der sorbischen Sprache unterscheidet sich in den einzelnen Kindertagesstätten nach Methoden, Umfang und Intensität.

Immersionsmethode – das Modell WITAJ

Die Immersionsmethode ist die intensivste Form der Sprachvermittlung. Der gesamte Kita-Alltag wird seitens der Erzieherin ausschließlich in sorbischer Sprache gestaltet – und zwar entweder in sämtlichen Gruppen der Kita (vollständige Immersion) oder nur in einzelnen Gruppen (partielle Immersion). Grundsätzlich gilt das Prinzip „eine Person – eine Sprache“, ein Sprachwechsel im Kontakt zu den Kindern wird nicht vollzogen. Selbstverständlich werden dabei sämtliche Inhalte des brandenburgischen und sächsischen Bildungsplanes erfüllt – nur eben in sorbischer Sprache.

Um den überwiegend aus deutschsprachigen Familien stammenden Kindern die sorbische Sprache ohne Übersetzungen ins Deutsche verständlich zu machen, wenden die Erzieherinnen bewusst eine einfache Sprache an, wiederholen oft, auch mit anderen Worten, um sich den Kindern verständlich zu machen. Das Gesagte wird mit Mimik und Gestik unterstrichen. Gerade durch den sich wiederholenden Alltagsrhythmus im Kindergarten und die (überwiegende) Altersgemischtheit der WITAJ-Gruppen haben die neu hinzukommenden Kinder beste Voraussetzungen, mit der immersiven Erziehung in einer ihnen fremden Sprache zurechtzukommen.

Kurzfilm zum Projekt WITAJ

Bilinguale Sprachvermittlung

Die Erzieherin spricht mit allen Kindern in zwei Sprachen – sorbisch und deutsch. Dabei entscheidet die Kindertagesstätte bzw. die Erzieherin über den Umfang der jeweils angewandten Sprache. Das Verständnis der sorbischen Sprache wird teils mithilfe von Mimik, Gestik und pädagogischen Materialien unterstützt, teils durch Übersetzen des Sorbischen ins Deutsche.

 

Die sorbischsprachige Erziehung in Kindertagesstätten sowie dessen spezifische Förderung ist gesetzlich verankert:

 
SCHULEN

Am erfolgreichsten wird die sorbische Sprache in Schulen, die nach dem Konzept 2plus – Schulartübergreifende zweisprachige sorbisch-deutsche Schule arbeiten, vermittelt.

Nach dem Konzept 2plus erfolgt in der Grundschule die Alphabetisierung der Schüler in der Regel in der Muttersprache, wobei die Eltern entscheiden, welche Sprache das ist. Die Alphabetisierung in der Zweitsprache erfolgt parallel, sodass die Schüler beide Alphabete im Wesentlichen innerhalb des 1. Schuljahres erlernen.

Im Rahmen des Sprachunterrichtes im Fächerblock Sorbisch, Deutsch und Sachunterricht wird der muttersprachliche Unterricht in Sorbisch bzw. Deutsch in Gruppen erteilt. Die konkrete Stundenverteilung Sorbisch–Deutsch erfolgt in pädagogischer Verantwortung der Schule. Für SchülerInnen mit sorbischem muttersprachlichen Hintergrund werden die weiteren Unterrichtsfächer in sorbischer Sprache erteilt. Für alle anderen Schüler erfolgt der Unterricht in diesen Fächern bilingual.

Das Recht, die sorbische Sprache zu erlernen und in festzulegenden Fächern und Jahrgangsstufen in der sorbischen Sprache unterrichtet zu werden, wird für Schüler im sorbischen Siedlungsgebiet durch sowohl das Sächsische (§2 SächsSchulG) als auch das Brandenburgische Schulgesetz (§5 BbgSchulG) gewährleistet. Aufbauend auf die Aneignung der sorbischen Sprache in der Kindertagesstätte werden in der Schule verschiedene Formen des sorbischen Sprachenunterrichts angeboten. Diese haben in Sachsen und Brandenburg gemeinsame Ziele und Grundprinzipien, werden aber teilweise unterschiedlich umgesetzt.

Es gibt mehrere Einrichtungen, die als Aufsichtsbehörden des sorbischsprachigen Unterrichtes gesehen werden können: das Sächsische Staatsministerium für Kultus und Sport, das Sächsische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst, das WITAJ-Sprachzentrum und der Sorbische Schulverein (Serbske šulske towarstwo). Die Monatszeitschrift für sorbische Lehrer Serbska šula hat ebenfalls Monitoring-Charakter.
HOCHSCHULBILDUNG

An der Universität Leipzig befindet sich das einzige Sorabistik-Institut in Deutschland, an dem sorbische Lehrer sowohl für Sachsen als auch für Brandenburg ausgebildet werden. Die Universität berücksichtigt im Rahmen ihrer Möglichkeiten die besonderen Anforderungen an die Ausbildung von Lehrern für sorbische Schulen und Schulen mit Sorbischunterricht.

Seminare zur Sprache und Kultur der Sorben werden darüber hinaus an den Universitäten Prag (Tschechische Republik) und Lviv (Ukraine) angeboten.
ERWACHSENENBILDUNG

Staatliche Bildungsinstitutionen der Länder Brandenburg und Sachsen sowie das WITAJ-Sprachzentrum bieten zahlreiche Fortbildungen für ErzieherInnen und LehrerInnen an.

Niedersorbische Sprachkurse organisiert die Schule für Niedersorbische Sprache und Kultur Cottbus. Obersorbische Sprachkurse werden von verschiedenen Institutionen angeboten:

  • WITAJ-Sprachzentrum
  • Domowina e. V. – Regionalverband Bautzen
  • Sorbisches Familien- und Begegnungszentrum LIPA e. V.
  • Volkshochschule Bautzen
  • Volkshochschule Hoyerswerda

Weitere Informationen / Links

Zum Weiterlesen:

Nationale Minderheiten / Minderheiten- und Regionalsprachen in Deutschland, November 2012

Fünfter Bericht der Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 15 Absatz 1 der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen, März 2013

EUROMOSAIC, Sorbian in Germany

Mercator Research Regional dossiers, Sorbian. The Sorbian language in education in Germany, 2001

 

Institutionen und Organisationen:
Domowina – Zwjazk Łužiskich Serbow / Bund Lausitzer Sorben
Rěčny centrum WITAJ-Sprachzentrum
Załožba za serbski lud / Stiftung für das sorbische Volk
Serbski institut / Sorbisches Institut
Serbska kulturna informacija Budyšin / Sorbische Kulturinformation Bautzen
Ludowe nakładnistwo Domowina / Domowina-Verlag
Zur Linksammlung des WITAJ-Sprachzentrums